Ich hing nur am Grasbüschel

INTERVIEW. Den Niederrheiner Klaus Koschmieder lebt für seinen Beruf. Er ist Archäologe und arbeitet in den Anden. Auf Wunsch von Moerser Bürgern grub er in der Partnerstadt La Trinidad in Nicaragua.

MOERS. Er ist vom Niederrhein, 48 Jahre alt, topfit, lebt meistens in einem Zelt in Südamerika – Dr. Klaus Koschmieder ist Archäologe. Feldforscher nennt man Männer seines Schlages, die das harte Feldbett in der Wildnis dem gemütlichen Sessel im Studierzimmer vorziehen. Dieses Interview wird Klaus Koschmieder nur online lesen können, denn zur Zeit ist er wieder an seinem Arbeitsplatz an der Ostseite der Anden. Vor einigen Tagen war er noch in Moers und hielt an der VHS einen Vortrag über seine Ausgrabungen in der Nähe der Partnerstadt La Trinidad in Nicaragua.

Wie kam es, dass es Sie in Ihre alte Heimat Moers verschlagen hat?

Klaus Koschmieder: Anlass war ein Besuch von Moersern in der Partnerstadt La Trinidad in Nicaragua. Ihnen wurden einige archäologische Funde gezeigt. Daraus wurde ein vom Klett-Schulbuchverlag finanziertes Projekt, etwa zehn Kilometer von La Trinidad entfernt, etwas ab von der Panamericana. Zuvor hatte es nur in den 60er Jahren eine deutsche Ausgrabung in Nicaragua gegeben.

Und was haben Sie in La Trinidad gefunden?

Klaus Koschmieder: Einen prähistorischen Friedhof, der über 2000 Jahre lang genutzt wurde. Von etwa 700 vor bis 1530 nach Christus – bis die Spanier kamen. Vermutlich wurden auf diesem Friedhof bis zu 30.000 Menschen bestattet. Es besteht die Idee, weiter zu graben. Aber für die nächsten zwei Jahre arbeite ich in Peru.

Das klingt so, als wüssten Sie nicht, wo Sie in drei Jahren arbeiten werden.

Klaus Koschmieder: Das stimmt. Ich habe keine feste Stelle und muss mich von Projekt zu Projekt hangeln. Die Grabung in Nicaragua passte ganz gut – ich war gerade arbeitslos.

Eine Festanstellung wäre wohl nichts für Sie?

Klaus Koschmieder: Nein. Museumsleiter – das ist ein Job zum Geld verdienen. Aber Feldarbeit macht Spaß – unbekannte Gebiete ablaufen, um was Neues zu finden.

Hört sich ja echt spannend an.

Klaus Koschmieder: Das ist richtiges Abenteuer. Ich arbeite jetzt in Peru im Anden-Hochland. Viel zu steil und zu gefährlich für Touristen. Dahin kommt man nur mit dem Seil oder der Machete. In den tiefen und steilen Schluchten findet man Felsmalereien, in den unzugänglichen Wänden Bestattungsorte. Lehmsarkophage in Menschengestalt. Es sind die Relikte der Chachapoya-Kultur, 1000 bis 1500 nach Christus. Dieses Volk wurde von den Inkas fast ausgerottet beziehungsweise umgesiedelt.

Also nicht nur spannend, sondern auch gefährlich…

Klaus Koschmieder: Gefährlich sind besonders die afrikanischen Wildbienen, die sich über den Kontinent ausgebreitet haben. Alle 500 bis 1.000 Meter ist ein Nest – auch in den Lehmsarkophagen. Wir sind mehrfach angegriffen worden.

Aber es ist niemandem was passiert?

Klaus Koschmieder: Leider doch. Einer Studentin aus Berlin. Es war wie in einem Horrorfilm. Sie war völlig von Bienen bedeckt und bewusstlos, und ich hatte die Befürchtung, sie würde das nicht überleben. Ich musste zu Fuß eineinhalb Stunden ins nächste Dorf laufen, um Hilfe zu holen. Es wurden hinterher über 400 Bienenstiche gezählt.

Waren Sie selbst schon einmal in Lebensgefahr?

Klaus Koschmieder: Ich hing über einem Abgrund und hielt mich an einem Grasbüschel fest. Unter den Füßen hatte ich keinen Halt, und 100 Meter unter mir waren die Felsen. Plötzlich riss der Büschel aus. Ich schnappte nach einem anderen Büschel, dann nach dem nächsten… Aber ich bin jetzt vorsichtiger geworden.

Aber mehr war doch hoffentlich nicht, oder?

Klaus Koschmieder: Na ja. Ich habe schon Erdbeben erlebt, die so stark waren, dass ich die Landschaft nicht mehr scharf sehen konnte. Und man muss immer aufpassen, wo man sein Lager aufschlägt!

Warum?

Klaus Koschmieder: Wenn man im Erdbebengebiet unter Felsen zeltet, wird man vorsichtig. Einmal, es war während einer Regenzeit, da flogen unserem Esel die Felsbrocken rechts und links um die Ohren. Aber wir haben alle noch mal Glück gehabt.

Und wie kommen Sie mit den Menschen zurecht?

Klaus Koschmieder: Gut. Nur einmal wurden wir verdächtigt, am Ende der Ausgrabungen Gold und Mumien außer Landes schaffen zu wollen. Es hieß: „Der Gringo zerstört die Mumien.“ Die wollten mich aus dem Dorf schmeißen. Aber das Lokalradio machte ein Interview mit mir, und ich konnte das klarstellen. Man muss eben immer einen guten Kontakt zur Bevölkerung haben.

DER MENSCH Klaus Koschmieder wurde in Rheinhausen geboren, wohnte in Moers in der Nähe des Bahnhofs, spielte hier in einem Verein Tischtennis und machte sein Abi am Stursberg-Gymnasium in Neukirchen-Vluyn. Der 48-Jährige studierte Altamerikanistik und erwarb drei akademische Titel. Seit 1985 lebt er in Berlin – wenn er nicht gerade eine Ausgrabung in Südamerika leitet. Er war Dozent an der Freien Universität Berlin, spricht fließend spanisch und studierte an der Universität von Lima, der Hauptstadt Perus. Außerdem spricht er Ketschua, die Sprache der Inkas, und Maya. Hobbys: Radtouren durch die ganze Welt und Bergsteigen. Was für einen Archäologen in den Anden eigentlich auch ganz praktisch ist. Einen Führerschein hat er nicht. Hält er sich in Berlin auf, spielt er Tischtennis. (hr)